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Die einfachen Ideen sind immer noch die besten

Wer zögert, hat schon verloren
(Sechs Stunden mit der Stangl-Puch im Kreis. Vollgas!)
 

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Wir schreiben das Jahr 1954. Es ist Sommer. Es ist ein heißer Sommer. Es ist in Österreich. Wir befinden uns in der goldenen Phase des Wiederaufbaus. Man trägt Petticoats, geht ins Kino und auf Tanzschulenkränzchen, bleibt im Urlaub zu Hause, ist zufrieden mit den kleinen Dingen des Lebens und freut sich über die ersten Waschmaschinen und gebrauchte Autos.

In diesem Sommer 1954 erblickt die Puch MS 50 in Graz das Licht der Welt. Sie ist ein Kind ihrer Zeit: Konzipiert als "Fahrrad mit Hilfsmotor" wird sie vom Markt begeistert aufgenommen. Das Konzept der "motorisierten Pedale" (kurz: Moped) geht voll auf. Innovative Technik gepaart mit unverwüstlicher Alltagstauglichkeit gipfelt in einem Hubraum von 49 Kubikzentimetern, einer Leistung von 1,7 (ein Komma sieben!) PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern. Mehr braucht man im Jahre 1954 nicht, um mobil zu sein.
Ein Jahr später liefert Puch die Luxusvariante MS 50 L mit größerem Tank, verstärktem Rahmen und Weißwandreifen nach; in Summe werden im Lauf der Jahre über eine Million Stück der legendären MS 50 produziert, vom Nachfolgemodell MV 50 beinahe ebenso viele. Die Puch-Mopeds werden zur Legende, zum Mythos, zur Erfolgsgeschichte.

Soviel dazu.

Wir schreiben das Jahr 2001. Es ist Sommer. Es ist ein heißer Sommertag. Es ist in Österreich. Seit dem Bau der ersten Puch MS 50 ist ein knappes halbes Jahrhundert vergangen. Wir befinden uns im Zeitalter der Kommunikations- und Freizeitgesellschaft. Man trägt weite Hosen, besitzt ein Heimkino, geht ins Techno-Cafe und auf Clubbings, fliegt auf Urlaub nach Australien, ist zufrieden mit dem neuesten Handy, freut sich über eine tüchtige Putzfrau und den neuen Golf vor der Haustüre.

In diesem Sommer 2001 blickt das motorradsportbegeisterte Österreich gebannt auf den Erzberg, auf Übertragungen von Freestyle-Motocross-Rennen oder der Superbike-WM. Ganz Österreich? Nein! In einem von unbeugsamen Innviertlern bevölkerten Dorf hört man nicht auf, dem zweirädrigen Massenstrom Widerstand zu leisten. "Es soll lustig sein. Es soll nicht viel kosten. Es soll anstrengend sein. Es soll an die Grenzen gehen. Es soll ein sechs-Stunden-Rennen sein. Es sollen Puch-Mopeds sein." So Herbert "Bussy" Kienbauer, Initiator und Cheforganisator der "360 Minuten von Zell/Pram". Im Frühjahr beschließt der Enduroclub Zell an der Pram die Durchführung des ultimativen Events, eine Hommage an vergangene Zeiten.

Das Reglement spricht für sich.

Gefahren wird in Zweierteams, gewonnen hat das Team, das nach sechs Stunden die meisten Runden zurückgelegt hat. Zugelassen sind Puch MS 50, Puch MV 50 sowie die Modelle VS und VZ. In anderen Worten: Gefahren wird mit Maurer-Sachs, Stangl-Puch, Postler-Puch, Midnight-Special et cetera, mit sonst nix. Der Rahmen hat original zu sein, ebenso das Motorgehäuse. Die Gabel darf nicht länger als 1,5 Meter sein, das Federbein nicht länger als einen Meter. Verwendet werden dürfen nur 50-Kubik-Puch-Einkolbenmotoren mit Gebläsekühlung. Bei Vergaser, Auspuff und Getriebe hat man freie Wahl, die Kopplung von maximal drei Motoren sowie Allradantrieb sind erlaubt. Noch Fragen?

An einem der heißesten Sommertage des Jahres 2001 begeben sich also 56 Teams, mindestens 112 Fahrer sowie eine undefinierbare Menge Puch-Mopetten an den Start. Ort des Geschehens ist die örtliche Baumschule, durch deren Betriebsgelände die 1.150 Meter lange Rundstrecke über Asphalt, Schotter und quer durch die Wiese führt.

Die Aufregung ist groß. Bereits in den Morgenstunden füllt sich das Fahrerlager Pick Ups, Anhängern und Rennbussen. Mopeds werden abgeladen, Zelte, Sessel und Tische aufgebaut, Kaffeemaschinen und Griller in Betrieb genommen, Bier- und Red-Bull-Dosen geöffnet, Brote und Antriebsketten geschmiert. Hier sind wahre Profis am Werk.

Die Heterogenität des Starterfeldes ist bemerkenswert: Die jüngsten Teilnehmer sind 15, die ältesten an die 50, das Genre reicht von Crossern über Enduristen bis hin zu Gebückten. Das Großteil der Fahrer stammt aus der näheren Umgebung. Auch Prominenz ist vertreten; so finden sich im Fahrerlager klingende Namen wie Erwin Machtlinger, Karl Truchses, Roland Sickinger sowie Ernst und Heli Helten. Für großes Aufsehen sorgen die Teams des Porschezentrums Hamburg, die mit einem mächtigen silbernen LKW, einer Handvoll Mechaniker und Mopeds antreten, derer sich die Entwicklungsabteilung von Porsche angenommen hat (!). Das einzige Damenteam nennt sich "Tschechischen Friseusen", keiner weiß warum.

Die Mehrzahl der Mopeds stammt aus den Reihen der MV-50-Serie, die meisten davon sind seit Jahrzehnten im Familienbesitz. Einige wurden erst am Vortag aus der Scheune geholt, einige wurden wild umgebaut und protzen mit abenteuerlichen Lackierungen, MTB-Downhill-Gabel, Scheibenbremsen und Halogenlichtmaske, manche haben ein heftiges Motortuning hinter sich. Da wurden Zylinderköpfe abgedreht, Überströmkanäle poliert, 17-Zoll-Vergaser montiert und lange, lange hat man nach der richtigen Bedüsung gesucht. Fazit: "Die geht locker fünfundsechzig!"

Realer kann das Leben gar nicht sein

Es sieht aus wie in ein Fahrerlager. Es ist ein Fahrerlager. Und zwar mit allem Schnickschnack, Partyzelten, Schnelltankanlagen, Groupies und Mechanikern. Die Fahrer stammen zum Gutteil aus der österreichischen Hobby-Rennszene - und setzen sich dann auf uralte Mopeds mit einer Leistung von vielleicht 2,7 PS. Warum???
Der 28jährige Roland gibt zur Antwort: "Es is halt a Gaudi." Anders der Ansatz von Mario, 32: "Es geht ums durchhalten." Josef, 49, und Otto, 42, verfolgen den olympischen Gedanken: "Dabeisein ist alles." Die 27jährige Eva bringt die Sache auf den Punkt: "Es ist so herrlich absurd!"

Um halbzwölf macht sich Nervosität breit. Nur noch eine halbe Stunde bis zum Start. Ist alles fertig? Ist der Transponder für die Zeitnehmung gut montiert? Wer macht den Start? Sind die Mopeds aufgetankt? Werden sie durchhalten? Noch schnell ein Müsli-Riegel, vielleicht noch ein Energy-Drink. Sechs Stunden sind lang.

Es geht zur Startaufstellung. In der Mittagshitze dampft es unter den Helmen. Gestartet wird nach dem Vorbild von Le Mans. Die Anspannung steigt, letzte Wetten werden abgeschlossen. Der ORF bringt sein Kamerateam in Position, Journalisten und Fotografen säumen die Boxenstraße, das Publikum sucht einen Platz in den vordersten Reihen. Alles wartet auf den Startschuss. Noch fünf Minuten...
Punkt 12 Uhr. Peng! Es geht los! Die Uhr läuft! 56 Verrückte stürzen in voller Montur, mit Brustpanzer und Ellbogenprotektoren, Lederkombi und Knieschleifern über die Start-Ziel-Gerade zu ihren Mopeds, starten an (oder auch nicht), reißen das Gas auf, lösen sich aus der Reihe und stechen in die erste Linkskurve. Überall ist Staub, einer kollidiert mit den Strohballen, die Nummer 47 geht in Führung, dicht gefolgt von 53, 11 und 4. Die Menge tobt. Großartig!

Nach der ersten Runde ist klar, dass Leistung bei diesem Rennen alles ist: Die Helten-Teams liegen vorne und beweisen auf der langen Gerade, dass der alte Helten noch immer sein Handwerk versteht. Fahrerisches Können ist gefragt. Fehlender Leistung wird mit beherztem Gasgeben begegnet. Wer zögert, hat sowieso schon verloren. Um jeden Meter wird gekämpft, die Fahrer ducken sich auf den Geraden hinter das nicht vorhandene Windschild, machen sich so klein wie möglichst, bremsen spät oder gar nicht. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen. Schlimme Verletzungen passieren keine (ist man dazu ganz einfach zu langsam?). Besonderen Applaus erhält der Fahrer mit der Nummer 40, der am Ende der Start-Ziel ungespitzt in die Strohballen donnert: "Es war einfach so super, die MV voll auszufahren, da hab ich ganz vergessen zu bremsen..."

Das Material ist unzulänglich, keine Frage, aber genau das ist die Herausforderung.

Bald machen sich erste Ausfälle bemerkbar. So mancher schiebt sein Moped zurück, erste Reparaturen werden notwendig. Hier ein Reifenwechsel, da ein Zündkerzenwechsel, ein neues Gasseil, eine neue Vergaserdüse. Das Porscheteam kämpft mit Getriebeschäden an beiden Mopeds (hihi). Gegen halbzwei - das Rennen ist gerade erst 90 Minuten alt - machen einige im Fahrerlager bereits einen sehr, sehr müden Eindruck. "Verdammt heiß heute," meint ein Fahrer mit hochrotem Kopf, als er den Helm abnimmt. "Verdammt schlechte Kondition," meint die Freundin.

An die 3000 (dreitausend!) Zuschauer säumen die Strecke. Sie sind restlos begeistert: "Bei uns im Innviertel gibt es keine Kinopaläste und Discotheken," erklärt uns ein Mitzwanziger mit Bier in der Hand. "Da kommt ein Rennen wie dieses gerade recht." Der Mann neben ihm (ebenfalls mit Bier in der Hand) pflichtet bei: "I bin der Papa von ehrm und i hab noch von früher a Maurer-Sachs in der Garage stehen. Nächstes Wochenende gemma fohrn..." Die Stimmung ist am Höhepunkt, als sich in der gemeinen Linkskurve nach dem Start - beim gefürchteten Wechsel von Asphalt auf Schotter - die Nummer 51 mit einem High-Sider vor das Publikum wirft. So soll es sein.

Im Laufe des Nachmittages werden auf Zuschauerseite 1000 Paar Bratwürstel, 450 Pizzas, 800 Hendl und 1750 Liter Bier vernichtet. Auf Fahrerseite reiben sich Mensch und Maschine auf. Auf der Strecke liegen unzählige Pedale und Rücklichter, hie und da auch ein Endtopf oder ein Kotflügel. Zwar bleiben bis zum Rennende fast alle Teams im Rennen, doch als um 18 Uhr die Zielflagge fällt, stellt sich doch allgemeine Erleichterung ein. Sechs Stunden können verdammt lang sein.
Auf der Start-Ziel ergießt sich literweise der Sekt über Fahrer und Mopeds, man vernichtet Hinterreifen mit einem Burn-out (oder zumindest versucht man es ), reißt das Moped auf Hinterrad, beglückwünscht sich gegenseitig und lässt das Rennen zwanglos in eine Party übergehen. Yes!

Seltsam? Aber so ist es geschehen...

 
Text: Karin Mairitsch
 
Artikel erschienen im "Motorradmagazin".
mehr unter www.mv50-rennen.at
 
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Letzte Änderung am Donnerstag 12 Juni, 2003 22:18 von Webknecht.