Home - Auto & Motorrad - Motorradfahren im Winter

 

Es gibt nur schlechte Kleidung

So mancher Motorradfahrer findet erst in der Kälte so richtig zu sich selbst. Knallharte Schneeflocken auf nackter Haut helfen.
 

Sie sind unempfindlich gegen Kälte, extrem widerstandsfähig gegen Nässe, sind mit einer dicken Schutzschicht versehen und treten zumeist alleine auf. Die Wahrscheinlichkeit einem jener seltenen Exemplare zu begegnen steigt im innerstädtischen Bereich, vereinzelt stehen sie bei Rot in der ersten Ampelreihe, für ein paar Sekunden können wir Stiefel, Reifen, vielleicht noch Handschuhe, Jacke und Helm betrachten, und ehe wir’s uns versehen, ist der dunkle Reiter auch schon wieder verschwunden.

Die Kraft der Beschleunigung ist auch bei Kälte, Nässe und fehlendem Grip mit ihm.

Jene Motorradfahrer, die sich auch im Winter nicht von ihrem Eisen trennen, sind die ganz Echten. Wir haben Glück und treffen einen der letzten Hartgesottenen an der Bar eines Wiener Innenstadtlokales. Eingehüllt in Lederhose und dicken Winterpullover steht er unweit der Eingangstüre, er muss wohl schon ein Weilchen hier sein, denn es hat sich bereits eine kleine nasse Pfütze um ihn gebildet. Martin Vonbrüll nippt an seinem Tee mit Milch und ist bester Laune. Er fährt seine BMW R 1150 GS bei Wind und Wetter, ohne Griffheizung und mit all seiner Leidenschaft.

Also erklärt uns der 36jährige urwüchsige Vorarlberger die Freuden des Motorradfahrens im Winter:

„Zum einen gibt es ja bekanntlich kein schlechtes Wetter, nur schlechte Bekleidung. Goretex und Rukka-Jacken sind wunderbare Erfindungen, da hat sich in den letzten 15 Jahren sehr, sehr viel getan. Außerdem komme ich in der Stadt im Winter schneller als im Sommer voran. Es gibt im Winter einfach mehr Raum zwischen den Autos –keine Radfahrer, keine Mopedfahrer oder andere Motorradfahrer, hinter denen man im Stau stecken bleiben könnte. Freie Fahrt. Und last but not least kann ich meinen Körper auch im Winter am Motorrad mit dem nötigen Adrenalin versorgen.“

Für den Adrenalinkick reichen unter winterlichen Bedingungen oft schon ganz geringe Geschwindigkeiten, das Risiko ist mit dem Blick aufs Thermometer ganz einfach kalkulierbar. Erst kürzlich hat Vonbrüll im Waldviertel auf der tief verschneiten und schlecht geräumten Wegstrecke von eineinhalb Kilometer sich und seine BMW gezählte fünf Mal hingelegt, und abgesehen von ein paar Kratzern an der Zylinderabdeckung des Motorrades blieben beide unbeschadet. Gutes Motorrad, starker Fahrer. Steif gefrorene Finger sind weniger zu fürchten als der Stillstand der Bewegung.

Der systemimmanente Drang zum Individualismus

Die Triebfeder für winterliche Motorradfahrten ist vermutlich eine Mischung aus wohl geordneten rationalen Überlegungen gepaart mit dem systemimmanenten Drang zum ungeteilten Individualismus. Am Motorrad ist man sein eigener Herr, am Motorrad fährt man am Stau einfach vorbei, am Motorrad kann einem keiner was dazwischen reden, mit dem Motorrad braucht man keinen Parkplatz zu suchen oder Eis zu kratzen. Eine Garage ist immer gut. Doch bei allen gewichtigen Argumenten: Letztendlich leitet den Motorradfahrer das unbändig freie Gefühl des einsam durch die Prärie streifenden Cowboys, meinetwegen auch der frische Duft des um die Nase wehenden kühlen Windes. Und das ist im Winter nicht anders als zu allen anderen Jahreszeiten. Auslüften ist einfach wichtig.

Schade eigentlich, dass die Cowboys so selten geworden sind.

 
Text: Karin Mairitsch
Bild: Karin Mairitsch, Mick Hüby
 
 
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Letzte Änderung am Montag 2 Januar, 2006 19:02